Interview

„Deine Medien sind doch auch nur Fake News“ – Wie kann man mit Desinformation umgehen?

Im Zusammenhang mit dem aktuellen Krieg in der Ukraine und Putins Desinformationskrieg spielen die Themen Desinformation und „Fake News“ eine wichtige Rolle. Friederike Raiser ist Referentin für politische Bildung bei o[s]tklick. Als Expertin für das Thema haben wir sie gefragt, wie man Desinformation eigentlich erkennt und wie man dem Problem im eigenen Umfeld begegnen kann.
Friederike Raiser

Du beschäftigst dich in deiner Arbeit unter anderem mit Desinformation und gibst Argumentationstrainings. Was genau ist eigentlich Desinformation?

Nicht jede Falschinformation, die veröffentlicht wird, ist gleich Desinformation. Falsche Nachrichten können auch aus Versehen verbreitet werden. Bei Desinformation jedoch werden gezielt Falschinformation mit der Absicht der Täuschung und Beeinflussung verbreitet. Das können gefälschte Bilder und Videos sein, tendenziöse Texte oder erstmal unauffällig erscheinende Berichterstattung. Häufig werden Bilder, Texte und Videos auch in einen falschen Zusammenhang gestellt. Diese auf den ersten Blick seriös wirkenden Nachrichten machen einen großen und meiner Meinung nach besonders gefährlichen Teil von Desinformation aus. Weil sie viel schwieriger zu erkennen und zu entlarven sind.

Das verbreitete Material knüpft häufig an das Vorwissen und Emotionen von Personen an und bezieht sich zum Teil auf reale Events oder Statistiken, die uminterpretiert werden. Es werden dann auch Expert:innen befragt, die eigentlich keine sind, oder eben falsche Zusammenhänge hergestellt. Dabei finden Desinformationskampagnen nicht nur auf beispielsweise russischen Staatsprogrammen statt, sondern auch über Social-Media-Plattformen und Messenger.

Nicht jede Falschinformation, die veröffentlicht wird, ist gleich Desinformation. Falsche Nachrichten können auch aus Versehen verbreitet werden. Bei Desinformation jedoch werden gezielt Falschinformation mit der Absicht der Täuschung und Beeinflussung verbreitet.

Welche Rolle spielt das Internet im Zusammenhang mit der Verbreitung von Desinformation?

Das Internet spielt eine große Rolle, weil sich mit wenig Aufwand eine große Reichweite erzielen lässt. Zudem können Informationen leichter in Umlauf gebracht werden: Sie werden nicht mehr unbedingt von Redaktionen geprüft und müssen dadurch nicht journalistischen Standards genügen. Und es gibt natürlich auch Leute, die Falschmeldungen teilen, wenn sie sich besser klicken – Bei YouTubern beispielsweise bedeuten viele Follower und Views viele Werbeeinahmen. Aber auch Faktencheck-Seiten und wissenschaftliche Studien sind dadurch heute einfacher zugänglich. Und an sich ist das Phänomen Desinformation nicht neu.

Durch Desinformationskampagnen wird versucht, Einfluss auf Politik, Gesellschaft und das Wahlverhalten von Personen und die Deutung historischer oder aktueller Geschehnisse zu nehmen. Es geht darum, das Vertrauen in demokratische Institutionen zu untergraben und zur gesellschaftlichen Spaltung beizutragen.

Was ist denn das Problem an Desinformation?

Desinformation als politisches Mittel ist ein sehr großes Problem. Durch Desinformationskampagnen wird versucht, Einfluss auf Politik, Gesellschaft und das Wahlverhalten von Personen und die Deutung historischer oder aktueller Geschehnisse zu nehmen. Es geht darum, das Vertrauen in demokratische Institutionen zu untergraben und zur gesellschaftlichen Spaltung beizutragen. Und wo dieses Gefühl des Misstrauens in demokratische Institutionen erzeugt wird, kann dann der vermeintlich funktionierende Gegenentwurf in Form autoritärer Strukturen präsentiert werden.

Demokratien sind aber nicht nur auf Vertrauen angewiesen, sondern auch darauf, dass sich Bürger:innen informieren und ihre Haltung zum Ausdruck bringen – sei es in Wahlen oder öffentlichen Debatten. Wenn durch Desinformation in die politische Entscheidungsfindung eingegriffen wird und Menschen manipuliert werden, ist das natürlich hochproblematisch. Falschnachrichten und Verschwörungserzählungen können darüber hinaus die Befürwortung von Gewalt verstärken oder sogar die Ausführung von Gewalttaten anregen.

 

Wie kommt das, dass Menschen Desinformationskampagnen und Falschmeldungen glauben?

Wir alle unterliegen bestimmten Wahrnehmungsmechanismen, die uns Orientierung geben und helfen, aus der Masse der Informationen auszuwählen. Es ist also so gesehen relativ einfach, auf Desinformation reinzufallen, wenn sie dem eigenen Weltbild entspricht.

Es gibt verschiedene Theorien, warum Menschen Falschmeldungen glauben. Erstens passiert das häufig nicht von heute auf morgen, sondern Personen konsumieren zum Teil jahrelang bestimmte Fernsehprogramme oder Medien. Das heißt, es kann sich über Jahre hinweg ein immer komplexeres „Glaubenssystem“ aufbauen.

Zweitens bietet es manchen Menschen möglicherweise durch Sprache, Ansprache und Inhalt eine Form der Zugehörigkeit, die sie in Deutschland weniger erfahren haben. Neueste Studien zeigen übrigens, dass „nur“ ca. ein Viertel der (Spät-)Aussiedler:innen in Deutschland den Medien des Herkunftslandes vertraut – das steht zumindest der Erzählung entgegen, alle seien Putin-Fans.

Drittens greift gezielte Desinformation häufig die Lebensrealität des Zielpublikums auf und knüpft dort geschickt an, beispielsweise durch eine emotionale Ansprache. Wenn Personen sowieso schon bestimmte Ängste haben oder Ablehnung erfahren, bestätigen sie bestimmte Nachrichten darin. Der „Confirmation Bias“ sorgt dann dafür, dass Menschen auch weiterhin eher das glauben, was sowieso in ihr Weltbild passt. Große Emotionalität fördert zusätzlich unbedachtes Weiterleiten. Und auch die Wiederholung bestimmter Nachrichten trägt dazu bei, dass Menschen eher denken: „Ach, das habe ich schon oft gehört, da muss ja was dran sein.“

Besonders Nachrichten, die von Bekannten weitergeleitet werden, wirken manchmal besonders vertrauenswürdig und „echt“. Zum Beispiel kann ein selbstgemachtes Video vermitteln, dass die Verfasserin dieses Videos direkte Zeugin einer Situation war und diese dadurch besonders real erscheint.

Der Glaube an Fake News und Verschwörungen befriedigt zudem ganz einfache menschliche Bedürfnisse. Er kann eine Reaktion auf empfundenen Kontrollverlust sein. Autoritäre Ansichten und klare Feindbilder können ein Gefühl der Sicherheit vermitteln. Darüber hinaus kann der Glaube daran auch den Wunsch nach Einzigartigkeit und „Ausgewähltsein“ bedienen, wenn man vermeintlich „gegen den Strom schwimmt“, zum Beispiel indem man „traditionellen“ Medien nicht vertraut, sondern eine anscheinend versteckte Wahrheit findet. Ich finde, gerade diese Erkenntnisse zeigen, dass niemand davor absolut sicher ist, Desinformation zu glauben.

Wie kann ich mich davor schützen, dass ich über Desinformation instrumentalisiert werde? Worauf muss ich bei weitergeleiteten Texten, Videos oder Bildern achten?

Gerade wenn man emotional angefasst ist, handelt man schnell unbedacht. Deshalb immer erstmal kurz durchatmen. Und dann erstens die Quelle checken: Lässt sich mehr über die Autorin herausfinden? Gibt es auf der Ursprungs-Website ein Impressum? Berichten andere seriöse Medien darüber? Ist der Experte wirklich ein Experte und wo wurde er sonst noch eingeladen? Wer finanziert die Nachrichtenseite? Zweitens würde ich der Behauptung misstrauen, wenn es sich scheinbar um „geheime“ bzw. „exklusive“ Infos handelt, über die niemand sonst berichtet. Vor allem dann, wenn keine Belege genannt werden. Ebenso, wenn ein Text oder Video versucht, Panik zu verbreiten und wenig sachlich erscheint. Drittens hilft es, die Plausibilität zu prüfen, etwa das Datum und den Zusammenhang zwischen Bild und Text. Häufig werden alte Bilder dem Kontext entrissen und als scheinbarer Beleg für irgendetwas genommen. Um so etwas herauszufinden, lässt sich die umgekehrte Bildersuche von Suchmaschinen nutzen.

Wie kann ich damit umgehen, wenn mir Menschen in meinem Umfeld Falschinformationen senden, zum Beispiel mit Bezug zum Angriffskrieg auf die Ukraine?

Das kommt darauf an. Wenn die Person das erste Mal welche versendet und die Desinformation offensichtlich selbst nicht als solche erkannt hat, dann kann man erstmal freundlich privat darauf hinweisen. Zum Beispiel indem man es kurz unter vier Augen anspricht oder in einem privaten Chat eine Nachricht schreibt. Es gilt ja auch: Niemand möchte gerne das Gesicht verlieren und je nachdem, wie es formuliert ist, fällt es Menschen einfacher oder schwerer, Dinge anzunehmen und umzusetzen.

Ich finde es sehr wichtig, sich nicht spalten zu lassen und Beziehungen, wo möglich, aufrecht zu erhalten und im Gespräch zu bleiben. Denn gerade im eigenen Umfeld ist auch die Chance, etwas verändern zu können, groß. Genauso wichtig ist es aber natürlich auch, Desinformation und Hetze zu widersprechen, auch wenn dies Auseinandersetzung bedeutet.

Im Projekt o[s]tklick erreichen uns häufig Aussagen von Menschen, deren Verwandten sowas sagen wie: „Deine Medien sind doch auch nur Fake News“. Wie verhalte ich mich, wenn die Person gar nicht einsichtig ist, öfter Desinformation teilt oder gegen andere hetzt?

Falls eine Person ein geschlossenes Weltbild hat, kann das natürlich herausfordernder sein. Man sollte die Hetze oder Desinformation, wenn möglich, trotzdem nicht unwidersprochen stehen lassen. Als „Leitfaden“ für solche Situationen empfehle ich eine Schritte-Technik. Diese Technik ist wie ein Fahrplan für den Kopf, gerade wenn man selbst schon genervt oder anderweitig emotional involviert ist.

Der erste Schritt ist, die Situation kurz zu analysieren: Wie ist die Beziehung zu der Person? Ist das Gegenüber gesprächsbereit? Welches Ziel und welches Bedürfnis steckt bei dieser Person dahinter? Wieviel Zeit und Energie hat man? Eignet sich der Ort? Sind Verbündete anwesend? Wer liest mit oder hört zu? Und ganz wichtig: Was ist das eigene Ziel in diesem Moment? Überzeugen, Verständnis zeigen, sich positionieren, Beziehung aufrecht zu erhalten, in eine Diskussion gehen? Und welches Ziel ist realistischerweise in diesem Moment erreichbar?

Im zweiten Schritt ergeben sich daraus einige Handlungsoptionen. Wenn ich gerade weder Zeit noch Nerven für eine lange Diskussion habe und das Gegenüber provokant auftritt, dann kann ich mich erstmal nur positionieren. Also zum Beispiel auf die problematische Quelle und fehlenden Belege hinweisen, eventuell auch einfach einen Artikel von Fact-Checking-Seiten darunter posten. Ich muss mich nicht jedes Mal auf eine lange Diskussion einlassen.

Eine weitere Option ist, zu schauen, ob die Kommunikation eigentlich auf der Sach- oder auf der Beziehungsebene stattfindet – also: Um welche inhaltlichen Fragen geht es auf der Sachebene? Aber auch: welche Erwartungen, Enttäuschungen, Hoffnungen spielen eine Rolle? Und diese Ebenen dann bewusst zu benennen und zu wechseln.

Ich kann auch den Gesprächsrahmen aktiv gestalten, indem ich sage, „Ich bin anderer Meinung, können wir am Wochenende gemeinsam darüber sprechen?“ Damit verschafft man sich Zeit, selbst nochmal zu recherchieren und sich zu überlegen, was man mit dem Gespräch eigentlich erreichen möchte.

Und was immer geht: Detaillierte Nachfragen stellen. Auf diese Weise werden falsche oder widersprüchliche Informationen häufig selbst aufgedeckt. Anderen Material senden, wie man Quellen prüfen kann, wie Medien in Deutschland arbeiten und woran man seriöse Berichterstattung erkennt. Und im Zweifelsfall eine Grenze ziehen und sagen: „Der Familienchat wird ab jetzt nicht mehr fürs Versenden von Artikeln benutzt. Wir können uns gerne darüber unterhalten, wenn wir uns das nächste Mal sehen.“

Ich finde es sehr wichtig, sich nicht spalten zu lassen und Beziehungen, wo möglich, aufrecht zu erhalten und im Gespräch zu bleiben. Denn gerade im eigenen Umfeld ist auch die Chance, etwas verändern zu können, groß. Genauso wichtig ist es aber natürlich auch, Desinformation und Hetze zu widersprechen, auch wenn dies Auseinandersetzung bedeutet. Manchmal geht es dabei nicht darum, den Absender zu überzeugen, sondern die Leute drumherum.

Es ist auch okay, sich für eine Zeit eine Pause von bestimmten Beziehungen und Diskussionen zu nehmen und die eigene Energie beispielsweise in positive Projekte zu stecken, sich zum Beispiel für ankommende Menschen zu engagieren.

Und ganz wichtig: Verbündete suchen. Denn das ist ja die gute Nachricht: es gibt viele tolle, kompetente Menschen, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen.

Buchtipps:

    • Ingrid Brodnig: „Einspruch! Verschwörungsmythen und Fake News kontern – in der Familie, im Freundeskreis und online“, Brandstätter Verlag, 2021. 
    • Katharina Nocun & Pia Lamberty: „True Facts – Was gegen Verschwörungstheorien wirklich hilft“, Quadriga Verlag, 2021.

Podcast-Empfehlungen:

Faktencheck-Seiten: