„Dort waren wir die Deutschen. Hier sind wir die Russen“, sagt Oma schon immer. Oma ist eine „Russlanddeutsche“. In meiner Familie sind wir alle sogenannte „Russlanddeutsche“. Ein Begriff, der viel sagt, aber gleichzeitig auch gar nichts. Irgendwas mit Russland und Deutsch? Wer sind wir? – Eine Frage, die sich generationsübergreifend stellt.
Hier bin ich die Russin. Dort bin ich Deutsche – Spuren und Scherben meiner „russlanddeutschen“ Familiengeschichte
Ich bin hier geboren. Ich bin die Erste. Meine Familie kommt aus der Sowjetunion. Wir werden als „die Russlanddeutschen“ oder auch als „die Russen“ bezeichnet. Warum wir hier sind und wer wir sind, weiß keiner so richtig. Das Buch „Hier bin ich die Russin. Dort bin ich die Deutsche – Spuren und Scherben meiner Familiengeschichte“ bildet meine Spuren- und Identitätssuche ab.
Jede russlanddeutsche Familie hat ihre eigene, individuelle Geschichte, die es verdient, aufgearbeitet zu werden. Die Aufarbeitung ist wichtig, denn sie schafft Raum für Verständnis und Reflexion, die so notwendig ist, besonders bei einer so missverstandenen Gruppe wie den Russlanddeutschen. Nicht nur in der deutschen Mehrheitsgesellschaft, sondern auch in der postsowjetischen, als auch unter den Russlanddeutschen selbst hat die Geschichte und die eigene Vergangenheit kaum Erinnerung. Sie wird und wurde unterdrückt, vergessen und verdrängt. Dies macht was mit der Identität der Russlanddeutschen. Sie ist unklar, unreflektiert und verzerrt.
Das Buch ist in zwei Teile gegliedert. Im ersten wird die Geschichte der Russlanddeutschen behandelt. Im zweiten Teil des Buches habe ich mich auf die Suche gemacht: Ich habe Spuren in meiner Familie gesucht. Dokumente, Bilder, Kommentare von Zeitzeugen und Kommentare von mir durchfluten diesen Teil und machen die Geschichte erst greifbar. Es sind tragische Geschichten, es sind Scherben von Menschen, die ich nie kannte und durch diese Arbeit kennenlernen durfte. Es sind aber auch tragische Geschichten, Scherben von Menschen, die ich mein Leben lang kenne oder kannte und jetzt besser verstehe. Es sind auch schöne Geschichten von einer Zeit und einem Ort, den ich durch Erinnerungen schon immer fühle. Es sind dabei nicht nur meine Erinnerungen, sondern die Spuren meiner Familie, die an mir haften.
Ich zeige, beschreibe und kommentiere im Buch meine gefundenen Spuren und Scherben. Dabei bewege ich mich zwischen Vergangenheit und Gegenwart, reflektiere und verarbeite. Am Schluss dieses Teils steht eine persönliche Auseinandersetzung mit meinem (Nicht-)Russlanddeutsch-Sein in der deutschen Mehrheitsgesellschaft.
Die Buchteile verweisen aufeinander. Somit ist dieses Buch inhaltlich sowie formal eine Suche – eine Suche, die verwirrt und gleichzeitig Verständnis schafft.
„Ich würde das Wasser trinken, mit dem sich der Herr Kohl die Füße wäscht. So glücklich bin ich, dass er uns reingelassen hat." - Eine Decke mit Zitaten meiner Großmutter
Migration bewegt sich immer zwischen Traum und Alptraum. Die Zitate meiner Großmutter, untermalt von den Hoffnungen, die der Westen brachte, und den Erinnerungen aus dem Osten, wurden auf dieser Decke verarbeitet und zeigen einen kleinen Teil des Alptraums und Traums der postsowjetischen Migration.
Über Elena Rohloff
Elena Rohloff ist studierte Kommunikationsdesignerin aus Augsburg und befindet sich derzeit im Masterstudiengang Transformation Design. Während ihres Designstudiums hat sie sich ein breites Spektrum an Fertigkeiten im Bereich Design angeeignet, die sie einsetzt, um gesellschaftliche Themen sichtbar zu machen. Ihr besonderer Interessenschwerpunkt liegt in der Verbindung von ästhetisch-experimentellem Design und wissenschaftlich-analytischem Denken, um gesellschaftliche Themen zu analysieren und Lösungen zu finden.
Mehr über Elena Rohloff auf ihrer Website.
Portraitfoto: Alpay Malkoc
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