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Antiamerikanismus als ideologische Klammer – Wo verfängt Russlands Desinformation?

Die Europawahl hat gezeigt: Prorussische Positionen haben in Deutschland Konjunktur. Trotz sich häufender Belege für russische Einflusskampagnen ist diese Entwicklung nicht einseitiges Resultat des Handelns des Kremls. Propaganda und Desinformation instrumentalisieren viel eher bereits vorhandene Ressentiments. Insbesondere der Antiamerikanismus befördert bei verschiedenen Gruppen die Übernahme russlandfreundlicher Einstellungen. Medialen Behauptungen zum Trotz lässt sich die Problematik nicht auf russlanddeutsche Communities auslagern. Ein Text von Anton Livshits.
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11. Juni 2024. Der ukrainische Präsident spricht vor dem Deutschen Bundestag. Seit zweieinhalb Jahren verteidigt sich sein Land gegen eine großangelegte russische Invasion. Zehn Jahre dauert schon der Krieg in der Ostukraine. Wolodymyr Selenskyj dankt seinen Verbündeten und beharrt darauf, dass der Widerstand gegen den russischen Aggressor für ganz Europa von Bedeutung ist. Die Rede erntet tosenden Applaus, doch zwei Parteien bleiben demonstrativ fern: die Rechtsradikalen von der AfD und das BSW – Sahra Wagenknechts Abspaltung von der Linkspartei.

Die AfD lehnte es ab „einen Redner im Tarnanzug anzuhören.“ Fraktionschef Chrupalla bezeichnete Selenskyj als „Kriegs- und Bettelpräsident“, der gegen die Interessen seines Landes handele. Die zehn Abgeordneten des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) begründeten ihr Fehlen mit ähnlichen Worten. Man verurteile zwar „den völkerrechtswidrigen Krieg Russlands“, wolle aber keinen verantwortungslosen Staatsmann würdigen. Dass beide Parteien ausgerechnet Selenskyj zum Kriegstreiber stilisieren, kommt einer perfiden Täter-Opfer-Umkehr gleich. Es erinnert an russische Kriegspropaganda. Abgeordnete von AfD und BSW profilierten sich freilich nicht zum ersten Mal mit derartigen Äußerungen. Beide Parteien stellten die Forderung nach einem Stopp der Waffenlieferungen an Kyiv und einem Ende der europäischen Sanktionspolitik gegen Russland auch ins Zentrum ihres erfolgreichen Europa-Wahlkampfs. Dass sie dabei etwa Falschbehauptungen über Putins Friedensbereitschaft perpetuierten, störte ihre Klientel offenbar kaum. Die AfD fuhr mit 15,9 % ein Rekordergebnis ein und auch das BSW erzielte aus dem Stand 6,2 %, womit es deutlich vor der Linkspartei liegt (2,7%).

Diese Wahlerfolge gründen sicherlich nicht nur in der Russlandpolitik. Eine Umfrage von infratest dimap zeigt indessen, dass „Friedenssicherung“ von 26 % aller Wähler:innen und damit unter allen abgefragten Themen am häufigsten als ausschlaggebend für die Wahlentscheidung angeführt wurde. Unter Wähler:innen des BSW lag dieser Wert bei 37 %, 74 % von ihnen beurteilten den Einsatz der Partei gegen weitere Waffenlieferungen positiv. 76 % der AfD-Wähler:innen trieb derweil die Sorge um, die Unterstützung der Ukraine schade Deutschland. Daran zeigt sich: antiukrainische Einstellungen und ein verklärtes Russlandbild sind in Deutschland salonfähig, sie bestimmen Wahlentscheidungen mit. Folglich lassen sie sich nicht als ein Problem russlanddeutscher und anderer migrantischer Communities externalisieren. Wie verbreitet der Glaube an Kreml-Lügen in der Gesamtbevölkerung tatsächlich ist, unterstrich eine ernüchternde Umfrage des Think Tanks CeMas vom Herbst 2022. 19 % der Deutschen gaben an, dass die NATO Russland zum Krieg genötigt hätte. 14 % sprachen der Ukraine ab, ein eigenständiger Staat zu sein.

Diese Zahlen und die jüngsten Wahltrends verlangen nach Erklärung. Berichte über eine Zusammenarbeit von AfD-Kadern mit dem Kreml sorgten in den letzten Monaten für Schlagzeilen. Auch Beweise für Systematik und Ausmaß russischer Desinformationskampagnen nehmen rasant zu. Den hohen Koordinationsgrad dieser Bemühungen unterstreicht etwa die „Doppelgänger“-Strategie, mit der prorussische Bot-Accounts soziale Netzwerke mit Links zu nachgebauten Webseiten vertrauenswürdiger deutscher Medien fluten. Derartiges Agenda-Setting trägt augenscheinlich Früchte, tatsächliche Auswirkungen bleiben dennoch schwer messbar. Eine jüngst veröffentlichte globale Vergleichsstudie unter Beteiligung der TU München behauptet gar, Social-Media-Kampagnen spielten keine wesentliche Rolle für den Glauben an russische Narrative. Entscheidend seien stattdessen bereits vorhandene, verschwörungsideologische Weltbilder.

„Die Übernahme prorussischer Positionen lässt sich nicht einseitig auf den russischen Informationskrieg rückführen. Zwischen gezielten Desinformationsbemühungen und vorhandenen Weltbildern und Vorurteilen herrscht ein komplexeres Wechselverhältnis. Deshalb plädiere ich im Folgenden dafür, in Deutschland weitverbreitete antiwestliche und antiamerikanistische Ressentiments als entscheidenden Faktor ernst zu nehmen, der russische Narrative hierzulande anschlussfähig macht.“

Was hier für zwei Falschbehauptungen exemplarisch erforscht wurde, scheint generalisierbar: Die Übernahme prorussischer Positionen lässt sich nicht einseitig auf den russischen Informationskrieg rückführen. Zwischen gezielten Desinformationsbemühungen und vorhandenen Weltbildern und Vorurteilen herrscht ein komplexeres Wechselverhältnis. Deshalb plädiere ich im Folgenden dafür, in Deutschland weitverbreitete antiwestliche und antiamerikanistische Ressentiments als entscheidenden Faktor ernst zu nehmen, der russische Narrative hierzulande anschlussfähig macht.

Russische Desinformation trifft deutschen Antiamerikanismus

2014 annektierte Russland die Krim, in der Ostukraine begann der von Russland angefachte „Bürgerkrieg“. Der Kreml nutzt seitdem verstärkt Desinformation und Propaganda als Elemente einer hybriden Kriegsführung, um im Westen öffentliche Meinung und politische Entscheidungsprozesse zu beeinflussen. Deutschland ist als stärkste europäische Volkswirtschaft wichtiges Ziel: Bereits 2014 gründete der Kreml hierfür mit RT DE einen deutschsprachigen Auslandssender. 2020 zog das Nachrichtenportal Sputnik nach. Beide Medien dämonisierten die Regierung in Kyjiv, sie erklärten die Annexion der Krim zum Verteidigungsakt gegen westliche Expansion. Nach dem 24. Februar 2022 veränderten sich die Narrative dieser Auslandspropaganda kaum. Bis heute geht es darum, westlichen Staaten die eigentliche Kriegsschuld zuzusprechen. Hinzu kamen Agitation gegen Waffenlieferungen und die europäische Sanktionspolitik. Falschmeldungen blieben Mittel der Wahl.

Noch sechs Monate vor dem Launch von RT DE versammelte sich bei den „Mahnwachen für den Frieden“ jedoch bereits jenes „Querfront“-Milieu, das die Keimzelle späterer antidemokratischer Proteste bildete. Auslöser der Mahnwachen war die Krim-Annexion. Sie richteten sich gegen die „Mainstream-Medien“ und die vermeintlich bedrohliche Russlandpolitik der NATO-Staaten. Schnell avancierten sie zu einem Sammelbecken für den regressiven Teil der Friedensbewegung, antiimperialistische Altlinke, Esoteriker:innen, Rechtsextreme, Reichsbürger:innen, Antisemit:innen und Anhänger:innen von Verschwörungserzählungen wie etwa der zu 9/11. Genau jene Gruppen, die auch 2024 laut ausführlicher Analyse des Think Tanks Institute for Strategic Dialogue zu den zentralen Rezipient:innen von Kreml-Propaganda zählen. Ihr verbindendes Element: Die teils unterschiedlich begründete Gegnerschaft zu USA und NATO.

Diese antiamerikanische Haltung muss dabei von sachlicher Kritik an US-Außenpolitik geschieden werden. „Ami go home“ und ähnliche Parolen gründen laut den Soziologen Heiko Beyer und Ulf Liebe vielmehr in „gefestigten, von politischen Schwankungen unabhängigen Vorurteilsstrukturen“ (Beyer und Liebe, 2010). Derartige Ressentiments reichen in Europa – wie Beyer in seiner Dissertation (2014) darlegt – in eine Zeit zurück, bevor die USA eine globale Vormachtstellung einnahmen. Heutzutage gehören sie zum Fundament umfassender Weltausdeutungen. Diese Antiamerikanismen bieten vereinfachende Erklärungen für die enorme Komplexität von Globalisierungsprozessen und verorten ganz klar die Verantwortlichkeit für ihre Schattenseiten: Egal ob 9/11 oder Aids, die USA sind schuld. Die derart vollzogene Einteilung der Welt in Gut und Böse assoziiert den Antiamerikanismus augenscheinlich mit Verschwörungserzählungen. Auch seine Nähe zum Antisemitismus dürfte nun auf der Hand liegen, nicht umsonst bedienen sich Soziolog:innen wie Beyer Konzepten der Antisemitismusforschung. Die zwei „welterklärenden Ressentiments“ (Beyer und Liebe, 2010) sind nicht deckungsgleich, treten aber oft zusammen auf. Seit 1945 dient der Antiamerikanismus hierzulande zudem gern als salonfähigere Form, antisemitische Einstellungen vorzubringen. Beide Vorurteile setzen auf den Mechanismus der Personifizierung („der Jude“; „der Amerikaner“; „die US-Finanzelite“).

Allerdings ist es beim Antiamerikanismus keine ethnisch-religiöse Gruppe, sondern ein Ort oder Staat, in den störende Seiten moderner, westlicher Gesellschaften ausgelagert und bekämpft werden. Aus sozialpsychologischer Perspektive hat der Antiamerikanismus somit eine entlastende und stabilisierende Funktion: „[I]n der Abwehr gegen „Amerikanisierung“ werden vor allem eigene Identitäts-, Weltdeutungs- und Zukunftsfragen verhandelt“, schreibt hierzu der Soziologe Andrei S. Markovits. Dabei schwankt je nach politischem Lager, was an der westlichen Moderne als störend empfunden und den USA zugeschrieben wird. Für das rechte Lager sind die Vereinigten Staaten Hort von Traditionsverlust und Universalismus. Teile der Linken sehen im mächtigsten NATO-Staat dagegen die schlimmste Verkörperung kapitalistischer Gier und imperialistischer Kriege. Mit Markovits lässt sich deshalb eine kulturelle und eine politische Ausprägung des Antiamerikanismus unterscheiden. In beiden Fällen bietet er Europäer:innen ein bequemes Mittel, sich nicht mit Eigenanteilen an den Pathologien von Kapitalismus und Globalisierung auseinandersetzen zu müssen. Überhaupt haben wir es meistens mit einer Mischung beider Ausprägungen zu tun.

„Unbezweifelbar ist jedoch, dass die russische Propaganda die USA (je nach Kontext auch die NATO oder „den Westen“) noch vor der Ukraine als eigentlichen Feind benennt. Dafür aktiviert sie eine große Bandbreite antiwestlicher und USA-feindlicher Rhetorik.“

Russlands Propaganda bespielt ebenfalls beide Facetten dieses Ressentiments. An anderer Stelle legten eine Kollegin und ich dar, wie Putin und seine Eliten den USA die Schuld am Zusammenbruch der Sowjetunion zuschreiben. Sie entwerfen eine Erzählung, in der „der Westen“ Russland seit Jahrhunderten eindämmen und schwächen wolle. In der Ukraine habe er dafür 2014 die Majdan-Revolution provoziert, die jetzige Regierung in Kyjiv sei eine US-Marionette. Ob diese Äußerungen rein instrumentellen Charakters sind oder auf eine tatsächliche Ideologie des Kremls schließen lassen, mag strittig bleiben. Unbezweifelbar ist jedoch, dass die russische Propaganda die USA (je nach Kontext auch die NATO oder „den Westen“) noch vor der Ukraine als eigentlichen Feind benennt. Dafür aktiviert sie eine große Bandbreite antiwestlicher und USA-feindlicher Rhetorik, die weltweit bei sehr verschiedenen Gruppen verfängt. Von hier aus lassen sich deshalb die Wechselbeziehungen zwischen russischen Desinformationskampagnen und deutschen Vorurteilen in den Blick nehmen.

Rechte gegen die Amerikanisierung

Die Markierung der USA als kultur- und traditionslos reicht im deutschen Diskurs laut Beyer in die Epoche der Romantik zurück. In jüngerer Vergangenheit erwies sich die Gegnerschaft zu den USA für den Historiker Volker Weiß gar als das ideologische Kernelement der europäischen „Neuen Rechten“, die ihre vermeintlich bedrohte, kulturelle Identität gegen den Siegeszug universeller Werte und globaler Lebensformen zu verteidigen sucht. Diesen Universalismus verorten ihre Theoretiker:innen in gewohnter Manier in der Figur des Juden (Stichworte: „Schuldkult“, „cultural marxism“) oder in den USA: „Die moralische Vernichtung der „eigenen“ Kultur haben die Deutschen nicht durch islamische Einwanderer erlitten. Diese sind vielmehr nur eine Folge der Niederlage, die der „Amerikanismus“ 1945 dem Reich des „Eigenen“ bereitete und mit dem Kulturwandel von 1968 ff. besiegelte“ (Weiß, 2017). Dabei moniert die radikale Rechte die Vorherrschaft des „Amerikanismus“ sowohl auf geopolitischer als auch auf kultureller Ebene. AfD und Co. fordern die Wahrung nationaler Souveränität gegenüber den Institutionen der EU und den transatlantischen Partnern in Washington. Eng damit verknüpft ist die ins Verschwörungsideologische übergehende Behauptung, Deutschland stehe unter dem Diktat der „raumfremden Macht“ USA. Multikulturalismus und die zur „Gender-Ideologie“ umgedeuteten Errungenschaften von Feminismus und LGBTQ-Bewegung werden ebenfalls einer volkszersetzenden US-Amerikanischen Agenda zugeschrieben.

„Multikulturalismus und die zur „Gender-Ideologie“ umgedeuteten Errungenschaften von Feminismus und LGBTQ-Bewegung werden ebenfalls einer volkszersetzenden US-Amerikanischen Agenda zugeschrieben. Dasselbe auf Partikularismus beharrende Denken findet seinen Ausdruck auch in der Rhetorik des Kremls [...]. Wie Erzkonservative und Rechtsradikale weltweit, inszeniert sich der russische Präsident zum Verteidiger bedrohter „traditioneller Werte“. Insbesondere die damit verbundene Queerfeindlichkeit baut ideologische Brücken zu Europas Rechter.“

Dasselbe auf Partikularismus beharrende Denken findet seinen Ausdruck auch in der Rhetorik des Kremls, der von einer multipolaren Welt jenseits amerikanischer Hegemonie schwadroniert.  Wie Erzkonservative und Rechtsradikale weltweit, inszeniert sich der russische Präsident zum Verteidiger bedrohter „traditioneller Werte“. Insbesondere die damit verbundene Queerfeindlichkeit baut ideologische Brücken zu Europas Rechter. Außerdem warnt Putin gerne mal vor „westlichen Eliten“. Diese Formulierung bleibt vage genug, um bei der globalen Zuhörerschaft allen möglichen USA-feindlichen, antiwestlichen und antisemitischen Projektionen Raum zu lassen. Es ist folglich nur konsequent, dass Rechtsextreme von einem Bündnis mit Russland träumen. „Wer sich in diesen Tag [sic] zu deutsch-russischer Freundschaft bekennt, der erklärt sich damit nicht zum Vasallen Russlands, nein, er erklärt vielmehr, kein Vasall der USA mehr sein zu wollen!“, hieß es hierzu vom Verein „Ostwind“, den AfD-Politiker gemeinsam mit dem rechtsextremen Publizisten Jürgen Elsässer ins Leben riefen. Auch Weiß beschreibt, wie rechtsradikale Intellektuelle beider Länder schon länger an der Idee einer Allianz gegen Washington arbeiteten. Dahinter stehe laut dem Ideengeschichtler aber gerade gegenseitige Bezugnahme und nicht einseitige Beeinflussung. Dennoch konstatierte der Spiegel für eine Rede Björn Höckes vom Herbst 2022 enorme Ähnlichkeiten zu einem Strategiepapier, das der Kreml laut Recherchen des Mediums für die AfD anfertigte. Höcke behauptete, die USA trieben einen Keil zwischen Russland und die BRD, sie betrieben „den Untergang Deutschlands“. Betete Höcke bloß nach, was Moskau ihm einflüsterte? Nein, der Chef der Thüringer AfD kommunizierte zugleich hauseigene Überzeugungen der extremen Rechten in Deutschland.

Vor diesem Hintergrund mag nicht verwundern, dass dieses Milieu hierzulande die wesentliche Zielscheibe prorussischer Propaganda bildet. RT DE und Sputnik suchten die Nähe zu derartigen Gruppen und der verschwörungsideologischen Szene. Gezielt verstärkten sie dort vorherrschende Themen und fanden gleichsam für ihre prorussischen Botschaften eine bereitwillige Zuschauerschaft. RT DE begleitete Pegida-Aufmärsche, während der Pandemie verbreitete es Desinformation zur Impfung sowie Verschwörungserzählungen, die den Ursprung von Covid-19 in US-Amerikanischen Biowaffenlaboren verorteten. Als im Frühjahr 2022 das europaweite Verbot von RT und Sputnik eine Dezentralisierung der Desinformationsmaschine einläutete, gewannen auf Telegram eine Reihe von prorussischen Kanälen rasant an Followern. Dahinter standen in der Regel Menschen mit Russischkenntnissen, die Desinformationen aus russischer Quelle ins Deutsche übersetzten. Der Grad der Steuerung dieser meist anonymen Kanäle durch Moskau lässt sich selten feststellen. Fest steht jedoch, dass sie vor allem bei der rechtsgerichteten demokratiefeindlichen Szene erfolgreich sind, die sich die Jahre zuvor auf Telegram vernetzte. Insbesondere der in diesen Milieus häufig geteilte Kanal der „Putin-Influencerin“ Alina Lipp nimmt laut einer bei Correctiv veröffentlichte Netzwerkanalyse eine wichtige Scharnierfunktion zwischen ihnen und russischsprachigen Outlets ein. Offensichtlich ist, dass der Kreml nicht nur bei der Weiterverbreitung von Falschmeldungen auf Rechtsradikale und Verschwörungsgläubige zählen kann.  Als diese Kreise nach der Pandemie nach einem neuen Thema suchten, skandalisierten sie vor allem im Winter 2022/23 steigende Energiepreise, Waffenlieferungen und Sanktionen gegen Russland. Diese Kundgebungen verloren allerdings rasch an Zulauf. Sie blieben nicht die einzigen, die mit diesen Themen mobilisierten.

Antiamerikanismus von Links

Schließlich blicken linke Ressentiments gegen die USA in Deutschland ebenfalls auf eine lange Geschichte zurück. Heinrich Heine beschrieb das Land schon im 19. Jahrhundert mit dem Satz „das Geld ist ihr Gott“ als Brutstätte materialistischer Gier. Von zentraler Bedeutung für den heutigen linken Antiamerikanismus bleibt aber zweifellos der Kalte Krieg. Als Teil ihrer Staatsdoktrin stilisierten DDR und Sowjetunion den US-Imperialismus zum quasi-faschistischen Feind friedfertiger sozialistischer Staaten. Dadurch mag sich miterklären, wieso Menschen aus Ostdeutschland empfänglicher für prorussische Desinformation sind. Bei der bereits erwähnten CeMas-Umfrage lag die Zustimmung für alle abgefragten antiwestlichen und antiukrainischen Falschaussagen unter Ostdeutschen deutlich höher. Auch bei (älteren) postsowjetischen Migrant:innen ist davon auszugehen, dass sowjetische Narrative nachwirken. Eine ideologisch überhöhte Verurteilung der imperialistischen Politik der USA prägte zudem sowohl die 68er-Proteste gegen den Vietnamkrieg als auch spätere gegen die atomare Nachrüstung.

„Oftmals kritisieren diese Milieus nur die USA als habgierigen Aggressor, die imperialistische Kontinuität der Außenpolitik des russischen Zarenreichs, der Sowjetunion und des heutigen Russlands blenden sie geflissentlich aus. Antiamerikanismus trifft hier auf ein verklärtes Russlandbild. Dieses Relikt des Kalten Krieges bleibt bezeichnend für den heutigen Diskurs innerhalb eines Teils der Linken. Fast schon reflexartig deutet sie den aktuellen Konflikt zu einem von Washington angeheizten Stellvertreterkrieg gegen Moskau.“

Über diesen „kleinbürgerlichen Pazifismus“ der 80er-Jahre schreibt Beyer: „Deutschland wurde als Kriegsschauplatz amerikanischen Größenwahns stilisiert und die andauernde Besatzung beklagt“ (Beyer, 2010). Proteste gegen die US-Kriege in Afghanistan und im Irak speisten sich laut Beyer und Liebe ebenfalls aus diesen ost- und westdeutschen Traditionslinien. Mag sich an dort eingenommenen Positionen teils berechtigte Kritik artikulieren, fällt doch häufig ihre scheinheilige Einseitigkeit auf. Oftmals kritisieren diese Milieus nur die USA als habgierigen Aggressor, die imperialistische Kontinuität der Außenpolitik des russischen Zarenreichs, der Sowjetunion und des heutigen Russlands blenden sie geflissentlich aus. Antiamerikanismus trifft hier auf ein verklärtes Russlandbild.

Dieses Relikt des Kalten Krieges bleibt bezeichnend für den heutigen Diskurs innerhalb eines Teils der Linken. Fast schon reflexartig deutet sie den aktuellen Konflikt zu einem von Washington angeheizten Stellvertreterkrieg gegen Moskau. Sie spricht primär über eine vermeintliche NATO-Osterweiterung als Ursache für Russlands aggressive Politik gegen die Ukraine. Diese Rhetorik bedienen Kreml-Outlets wie RT, sie findet sich aber auch bei „Alternativmedien“ wie den Nachdenkseiten oder in marxistisch-leninistischen Organisationen wie der DKP. Der Hamburger Ableger dieser Kleinstpartei bezeichnete die USA beispielsweise als „Hauptkriegstreiber“ und „größten Nutznießer des Krieges.“ Auch Sahra Wagenknecht erklärte am 8. Januar 2024, im Krieg gehe es um die Frage, ob die Ukraine „Aufmarschgebiet amerikanischer Militärbasen und amerikanischer Regierungen“ werde. Sevim Dağdelen, die ebenfalls von der Linkspartei zum BSW wechselte, behauptete per Tweet, die USA schickten „Deutschland wie einen Vasallen ins Feuer.“ Im Gleichklang zur russischen Propaganda sprechen diese Akteur:innen der Ukraine ab, selbst entscheiden zu können, ob sie sich Richtung NATO und EU entwickeln möchte. Ihre Agitation gegen Waffenlieferungen und Sanktionen steht nicht losgelöst von diesem Kontext. Beispielsweise plädierte das vielunterzeichnete „Manifest für den Frieden“ von Wagenknecht und Alice Schwarzer zwar für ein Ende der Gewalt, implizierte aber, gerade der Westen heize den Krieg mit Waffen an, er stünde Diplomatie entgegen. In dieselbe Kerbe schlägt Wagenknechts wiederholte Behauptung, Putin sei zu Verhandlungen bereit. Dabei lässt sich der russische Friedenswille kaum ernst nehmen, da er auf realitätsfernen Forderungen beruht.

Indem der Kreml sich als friedensbereit inszeniert und NATO-feindliche, dekoloniale und globalisierungskritische Rhetoriken bemüht, sichert er sich also die Unterstützung eines Teils der Linken. Um diese Zielgruppen anzusprechen, machen russische Propaganda-Outlets auch von einem weiteren Ideologem Gebrauch: dem Antizionismus. Schon sowjetische Propaganda und linker Antizionismus teilen eine lange gemeinsame Vergangenheit. Heute sticht insbesondere der Social-Media-Account „redstreamnet“ auf diesem Feld hervor. Das Outlet inszeniert sich als antikapitalistisches Graswurzel-Medium. Dabei stammt zumindest ein Teil des Personals laut eigener Angabe von „Redfish“, einem mittlerweile gesperrten Medium aus dem Orbit von RT. Vieles spricht folglich dafür, dass „redstreamnet“ eine Neuauflage ist. Die Seite berichtet über den Nahost-Konflikt und andere Krisen im globalen Süden. Kritik an Russlands Angriffskrieg sucht man vergeblich, Imperialismus und Neokolonialismus tauchen nur als Strategien westlicher Staaten auf. Offensichtlich versucht „redstreamnet“, aktuelle Proteste zum Gaza-Krieg zu nutzen, Beiträge dämonisieren Israel und dessen Verbündete in Washington. In Hamburg streamte die Seite live von einer propalästinensischen Kurzbesetzung des autonomen Zentrums Roten Flora. Während der Besetzung der Humboldt Universität berichtete das Medium direkt aus dem Gebäude. Diese Kundgebungen anzuheizen liegt im Interesse des Kremls. Sie verstärken antiwestliche Haltungen, und Moskau profitiert, wenn andere Themen als sein Krieg im öffentlichen Rampenlicht stehen.

Ressentiments gegen die USA, die NATO oder „den Westen“ finden sich also in sehr verschiedenen Teilen der Gesellschaft. Mancherorts sind sie tief verinnerlicht und gehen weit zurück. Sie lassen sich nicht als importiertes Problem migrantischer Gruppen framen. Kreml-Medien heizen diese Haltungen an und verbinden sie mit russlandfreundlichen Botschaften. Mit BSW und AfD übersetzen gleich zwei Parteien solche Vorurteile momentan erfolgreich in Wahlergebnisse. In ihrer Klientel findet Moskau folglich nützliche ideologische Verbündete.

Anton Livshits studierte Kulturwissenschaften an der Universität Leipzig. Für die Amadeu Antonio Stiftung setzte er zuletzt ein Monitoring- und Aufklärungsprojekt zu russischer Desinformation in Deutschland um. Journalistisch befasst er sich ebenfalls mit dem russischen Angriffskrieg und seinen Auswirkungen.

Literaturhinweise:

Beyer, Heiko. 2014. Soziologie des Antiamerikanismus. Frankfurt: Campus.

Beyer, Heiko und Ulf Liebe. 2010. Antiamerikanismus und Antisemitismus. Zum Verhältnis zweier Ressentiments. Zeitschrift für Soziologie 32 (3).

Weiß, Volker. 2017. Die Autoritäre Revolte. Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes. Stuttgart: Klett-Cotta.

Zum Thema Desinformation haben wir schon mehrere Texte und Videos veröffentlicht. Mit dabei sind auch Tipps zum Umgang mit Fake News, Verschwörungstheorien und Desinformation.

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