Text

Zentralasien: Queerfeministische Sichtbarkeit in autoritären Zeiten

Künstlerische Praktiken von queeren Feminist:innen in Zentralasien trotzen autoritären Regimen und sozialen Tabus und schaffen dabei Räume für Widerstand, Zugehörigkeit und radikale Fürsorge. Saltanat Shoshanova beleuchtet in ihrem Text künstlerische Strategien zwischen Protest, Tradition und Visionen für eine dekoloniale Zukunft.
Saltanat_Foto

Die Überschneidung von Kunst, Geschlecht und Protest ist seit meinen frühen 20ern der Kern meiner persönlichen und beruflichen Reise. Im Jahr 2011 zog ich von Almaty nach Wien, um Kunstgeschichte zu studieren, und dort begann mein queerfeministischer Aktivismus. In Wien fand ich einen lebendigen Kreis von Akademiker:innen und Aktivist:innen, mit denen wir Workshops, Symposien und Ausstellungen organisierten. Eine der wichtigsten Veranstaltungen war die Konferenz Fucking Solidarity: Queering Concepts on/from a Post-Soviet Perspective, die im September 2017 an der Universität Wien stattfand.1

Die Konferenz wurde zum Schauplatz intensiver und bisweilen hitziger Debatten zwischen Aktivist:innen, die aus verschiedenen Ecken des so genannten postsowjetischen Raums angereist waren, und Akademiker:innen, die überwiegend westlichen Institutionen angehörten oder mit diesen verbunden waren. Dieses Aufeinandertreffen der Perspektiven legte Spannungen offen zwischen den lokalen, gelebten Erfahrungen des Aktivismus und den theoretischen Rahmungen, die in der westlichen akademischen Welt kursieren. Meine eigene Zwischenposition als Person, die in Kasachstan aufgewachsen ist und sich nach wie vor stark mit Kasachstan und seinen Realitäten identifiziert, während ich meine intellektuellen Grundlagen in westlichen Institutionen und Kreisen entwickelt habe, zieht sich wie ein roter Faden durch meine Arbeit und mein Leben.

In den letzten Jahren haben diese Überlegungen in einem Vortrag Gestalt angenommen, den ich an verschiedenen westlichen und zentralasiatischen Institutionen gehalten habe.2 Ich habe untersucht, wie die queerfeministische Bewegung in Zentralasien die Kunst nutzt, um ihren Protest im öffentlichen Raum zum Ausdruck zu bringen. In diesem Artikel stelle ich einige Beispiele vor und erörtere, wie sich die Bewegung heute inmitten lokaler und globaler ultrarechter Gegenreaktionen weiterentwickelt hat und fortbesteht.3

Die Proteste vom 8. März

Seit 2015 finden in Bischkek, der Hauptstadt Kirgisistans, jährlich am 8. März, dem Internationalen Frauentag, feministische Protestmärsche statt. Diese Veranstaltungen sind zu wichtigen Plattformen für Feminist:innen und Menschenrechtsaktivist:innen geworden, um auf Themen wie häusliche Gewalt, Geschlechterungleichheit und Frauenrechte im Land aufmerksam zu machen und auch über allgemeinere geopolitische Themen wie den Krieg in der Ukraine nachzudenken.

Im Laufe der Jahre kam es bei diesen Kundgebungen immer wieder zu Konfrontationen, Verhaftungen und wiederholten Verbotsdrohungen. Insbesondere im Jahr 2020 wurden die Teilnehmenden von maskierten Männern angegriffen, einer nationalistischen und ultrakonservativen Gruppe, Kyrk Choro (Vierzig Ritter), die ihre Plakate zerrissen und sie mit Eiern bewarfen. Anstatt die Angreifer festzunehmen, nahm die Polizei rund 70 queerfeministische Aktivistinnen fest und hielt sie stundenlang fest, ohne ihnen Gründe zu nennen oder Zugang zu einem Rechtsbeistand zu gewähren.

Die künstlerische Dimension des Protests vom 8. März 2021 wurde in einer kraftvollen Performance von Ayday Tokoeva deutlich, mit dem Titel No Femicide! Sie eröffnete mit einem Manifest:

Die Kirgisen sagen: „Mädchen sollten für ihre vierzig Zöpfe respektiert und verehrt werden.“ Aber irgendwie hört man das nur noch selten. Heutzutage hört man eher: „Mädchen sollen sich von vierzig verschiedenen Orten fernhalten“.

Während sie sprach, standen zwei Frauen neben ihr, flochten ihr Haar und banden jeden Zopf mit weißen Bändern zusammen, auf denen „die Gründe“ standen, die Männer vor Gericht für die Ermordung ihrer Ehefrauen oder Partnerinnen angaben. Tokoeva las weiter:

Ihr Mann tötete sie und zerrte sie in ein kaltes Haus, und als ihr Herz aufhörte, zu schlagen, zündete er sie an, um seine Schande zu verbergen.

In einem letzten Akt des Protests schnitt Tokoeva ihre Zöpfe ab und löste damit symbolisch die Verbindung zwischen patriarchaler Gewalt und den kulturellen Vorstellungen, die die Gesellschaft den Frauen auferlegt. Der Protest im Jahr 2025 konzentrierte sich erneut auf das Thema Gewalt gegen Frauen und versammelte knapp 500 Teilnehmende.

Ayday Tokoeva (Kyrgyzstan, b. 1994) No Femicide! (2021) Photo documentation by Lex Titova.

Im benachbarten Almaty, Kasachstan, sehen sich mehrere (queer-)feministische Initiativen seit 2017 mit immer größeren Herausforderungen bei der Organisation von öffentlichen Demonstrationen zum Internationalen Frauentag konfrontiert. In diesem Jahr fand der erste feministische Protestmarsch mit ein paar Dutzend Menschen ohne offizielle Genehmigung statt, und nachfolgende Versuche stießen oft auf Widerstand seitens der Stadtverwaltung.

Im Jahr 2020 wuchs die nicht genehmigte Kundgebung sowohl in ihrer Größe als auch in ihrer Symbolkraft: Sie zog rund 200 Teilnehmende an und beinhaltete einen performativen Akt. Die Demonstration unter dem Motto „Jede Frau zählt“ trug die Farben Schwarz und Lila – Schwarz für Trauer und Lila für Feminismus. Angeführt wurde der Zug von den Aktivistinnen Gulzada Serzhan und Leila Makhmudova, die im Gedenken an die Opfer häuslicher Gewalt einen Trauerkranz trugen. Die Demonstration fand ihren Höhepunkt in einer ausdrucksvollen Performance: der Verbrennung des Kranzes auf einem öffentlichen Platz, die als Protest gegen geschlechtsspezifische Gewalt und die Untätigkeit des Staates gedacht war. Diese Aktion wurde von der Justiz geahndet; die Aktivistinnen Arina Osinovskaya und Fariza Ospan wurden festgenommen und später wegen „Rowdytums“ zu einer Geldstrafe verurteilt.

Die Behörden üben häufig Druck auf die Organisator:innen aus, die so genannte "gay agenda" auszuschließen. Sie bestehen darauf, dass der Schwerpunkt ausschließlich auf Themen wie häusliche Gewalt gelegt wird. Dadurch wird jedoch der Spielraum des feministischen Kampfes eingeengt und die intersektionellen Realitäten, mit denen viele Aktivist:innen konfrontiert sind, unsichtbar gemacht.

Erst 2021 gelang es den Aktivist:innen, eine offizielle Genehmigung für den Protestmarsch zu erhalten, der mit rund 1.000 Teilnehmenden der größte Frauenmarsch in der Geschichte Kasachstans wurde. Was diese Demonstration besonders bedeutsam machte, war die sichtbare Einbeziehung von LGBTIQ+-Symbolen, ein ständiger Konflikt- und Kampfpunkt für Queer-Aktivist:innen, die seit langem eine zentrale Rolle in der Bewegung spielen, denen aber oft die öffentliche Sichtbarkeit verwehrt wird. Die Behörden üben häufig Druck auf die Organisator:innen aus, die so genannte “gay agenda” auszuschließen. Sie bestehen darauf, dass der Schwerpunkt ausschließlich auf Themen wie häusliche Gewalt gelegt wird. Dadurch wird jedoch der Spielraum des feministischen Kampfes eingeengt und die intersektionellen Realitäten, mit denen viele Aktivist:innen konfrontiert sind, unsichtbar gemacht.4Leider schrumpfte der hart erkämpfte Raum für öffentliche Aktionen in den folgenden Jahren wieder. In den Jahren 2024 und 2025 verweigerte das Akimat5 in Almaty Aktivist:innen die Genehmigung für Demonstrationen. Gleichzeitig versuchten die Behörden, die feministische Agenda zu verwässern, indem sie es regierungsfreundlichen Gruppen ermöglichten, parallele Kundgebungen zu organisieren, die sich angeblich auf die Bekämpfung häuslicher Gewalt konzentrierten und gleichzeitig konservative Werte unterstützten.

Es gab jedoch zwei wichtige Erfolge der kasachischen Frauenbewegung: die längst überfällige Kriminalisierung häuslicher Gewalt nach jahrelangem Druck durch Aktivist:innen, und die Abschaffung der diskriminierenden Liste von Berufen, die zuvor für Frauen verboten waren.

Uyat ist ein Ausdruck von Scham oder der Angst, beschämt zu werden, und wird vor allem gegenüber Frauen angewendet. Ein Beispiel dafür, wie Uyat nicht nur gesellschaftlich, sondern auch politisch eingesetzt wird, um kritische Stimmen und künstlerischen Ausdruck zu unterdrücken, ist der Fall von Umida Akhmedova im Jahr 2010.

Scham oder die Angst, beschämt zu werden: Uyat

Uyat ist ein Ausdruck von Scham oder der Angst, beschämt zu werden. Er wird eingesetzt, um das Verhalten der Menschen zu kontrollieren, und wird vor allem gegenüber Frauen angewendet. Uyat ist ein mächtiges soziales Instrument auf allen Ebenen der zentralasiatischen Gesellschaften, das Konformität und patriarchalische Normen stärkt. Einer der bekanntesten Fälle von staatlich sanktioniertem Uyat war die Verhaftung der prominenten usbekischen Künstlerin und Fotografin Umida Akhmedova im Jahr 2010. Sie wurde wegen „Verleumdung der usbekischen Nation“ verurteilt, weil sie sich in ihren Foto- und Filmprojekten mit der Ungleichheit der Geschlechter und Menschenrechtsfragen in den ländlichen Gebieten auseinandergesetzt hatte. Akhmedovas Fall ist ein Beispiel dafür, wie Uyat nicht nur gesellschaftlich, sondern auch politisch eingesetzt wird, um kritische Stimmen und künstlerischen Ausdruck zu unterdrücken.

Ein weiterer berühmter, von Uyat gesteuerter staatlicher Versuch, den künstlerischen Ausdruck von Frauen zu zensieren, fand 2019 während der ersten (und vorerst letzten) Feminnale für zeitgenössische Kunst in Bischkek statt, kuratiert von Altyn Kapalova. Die Ausstellung löste erheblichen Zorn bei konservativen nationalistischen Gruppen aus, unter anderem bei unseren „alten Freunden“ von Kyrk Choro. Sie empörten sich insbesondere über Performances und Kunstwerke, die Nacktheit beinhalteten und Themen wie Sexarbeit und häusliche Gewalt behandelten. Im Zentrum der Kontroverse standen die Performance der dänischen Künstlerin Julie Savery, die nackt auftrat, um auf die Notlage von Sexarbeiter:innen hinzuweisen, und die Skulptur Evermust (2019) der kasachischen Künstlerin Zoya Falkova – ein Sandsack in Form eines weiblichen Torsos als Symbol für geschlechtsspezifische Gewalt. Unter dem Druck der Öffentlichkeit ordnete der kirgisische Kulturminister Azamat Zhamankulov die Entfernung mehrerer Kunstwerke an, und die Museumsdirektorin Mira Dzhangaracheva trat aufgrund der Bedrohung ihrer eigenen Sicherheit zurück.6

Die jüngere Generation von Künstler:innen stellt jedoch Uyat, das Unterdrückungswerkzeug der sozialen Kontrolle und Bestrafung, durch intime und trotzige visuelle Praktiken weiterhin in Frage. In ihrer Fotoserie If There Were No Society (2021) erforscht die usbekische Fotografin Kamila Rustambekova die verborgenen Sehnsüchte und den Selbstausdruck junger Menschen, die unter ständigem Anpassungsdruck leben. Rustambekova schreibt: „Für ein paar Stunden erschienen meine Held:innen vor mir in ihrem gewünschten Aussehen, an Orten, an denen sie sich sicher fühlen.”7

Eine:r der Protagonist:innen, Ruslan, setzt auf farbenfrohes Make-up, Schmuck und geschlechtsuntypische Kleidung – Entscheidungen, die ihn in der Öffentlichkeit in Taschkent gefährden würden. Seine sicheren Räume beschränken sich auf sein Zuhause, seinen Arbeitsplatz und sein Fotostudio. Doch seine Vorstellungskraft reicht bis in „entwickelte und tolerante Länder, in denen die Menschen anders denken“. Wie Ruslan träumt auch Khristina von einem Leben anderswo (z. B. in Europa), wo ihr Wunsch nach Ganzkörpertättowierungen mit Zebrastreifen nicht als Zeichen der Abweichung gewertet würde, wie es im postsowjetischen Kontext oft der Fall ist, wo Tätowierungen häufig mit der Gefängniskultur assoziiert werden. Andere Protagonist:innen des Projekts erschließen sich ihre Freiheit durch Kleidung, Make-up, Nacktheit oder die ästhetische Erkundung vergangener Zeiten als metaphorische Zuflucht vor den harten Anforderungen des normativen Lebens.

Kamila Rustambekova (Uzbekistan, b. 1998) If There Were No Society. Ruslan (2020)

Auch in Zentralasien haben sich viele autoritäre Regime  auf konservative Werte versteift und Queerness und feministische Politik als „westliche Zumutungen“ und existenzielle Bedrohung der nationalen Identität und kulturellen Traditionen dargestellt. Die jüngste Verabschiedung von Gesetzen über „ausländische Agenten“ und sogenannte „gay propaganda“ in Kirgisistan und Georgien spiegelt den wachsenden Einfluss der russischen politischen Ideologie in der Region wider.

Queer vs. National

Die letzten fünfzehn Jahre waren von einer globalen Verschiebung der Rhetorik in Bezug auf Geschlecht und Sexualität geprägt. Während der sogenannte „progressive Westen“ zunehmend die Sprache der Menschenrechte, insbesondere der LGBTIQ+-Rechte, als Zeichen der Modernität und moralischen Überlegenheit übernahm, diente dieser Diskurs oft dazu, geopolitische Hierarchien und Binaritäten zu verstärken, indem er den “barbarischen” oder “rückständigen” Rest der Welt als rettungs- oder zivilisierungsbedürftig kennzeichnete.8 Als Reaktion darauf haben sich viele autoritäre Regime, auch in Zentralasien, auf konservative Werte versteift und Queerness und feministische Politik als „westliche Zumutungen“ und existenzielle Bedrohung der nationalen Identität und kulturellen Traditionen dargestellt. Die jüngste Verabschiedung von Gesetzen über „ausländische Agenten“ und sogenannte „gay propaganda“ in Kirgisistan und Georgien spiegelt den wachsenden Einfluss der russischen politischen Ideologie in der Region wider. Diese Gesetze wurden nach dem Vorbild ähnlicher Gesetze in Russland geschaffen. Queere Bürgerinnen und Bürger Zentralasiens wurden im öffentlichen Diskurs zu Sündenböcken, erfahren Gewalt und werden zu Werkzeugen in breiteren ideologischen Kämpfen.

Die strategische Antwort von queeren Aktivist:innen und Künstler:innen in Zentralasien bestand daher darin, sich wieder in den Körper der Nation einzuschreiben und ihre Identität als integralen Bestandteil des kulturellen, historischen und sozialen Gefüges ihrer Länder zu behaupten. Zu diesen Strategien gehörte die bewusste Vermischung von LGBTIQ+-Symbolen mit traditionellen Ornamenten, nationalen Motiven und Elementen der volkstümlichen Kleidung oder das Tragen von Nationalflaggen bei Pride-Veranstaltungen im Ausland. Diese Strategien der Sichtbarkeit blieben nicht unbemerkt und provozierten oft Gegenreaktionen und Drohungen, sowohl online als auch offline.

Ein bemerkenswertes Beispiel ist das Kunstwerk “If You Want Batyrs, I Have Them! von Kuanish Bazargaliyev aus dem Jahr 2015, das einen kasachischen Krieger auf einem Pferd mit einer Regenbogenflagge zeigt und staatliche Erzählungen über die historischen Wurzeln des Patriotismus direkt in Frage stellt. Als das Werk 2017 in der Galerie Artmeken ausgestellt wurde, kam eine Gruppe von Männern zur Eröffnung und verlangte die Entfernung des Werks mit der Begründung, dass es die nationale Ehre und traditionelle Werte beleidige. Daraufhin erhöhten die Organisatoren die Sicherheitsmaßnahmen, und das Kunstwerk blieb ausgestellt.9

Diese Hinwendung zur Vergangenheit als Quelle für eine mögliche queere Zukunft steht in engem Zusammenhang mit den aufkommenden dekolonialen Diskursen in Zentralasien. Insbesondere jenen, die Homofeindlichkeit nicht als einen inhärenten kulturellen Wert, sondern als einen imperialen und sowjetrussischen Import betrachten. Diese Diskussionen haben nach der russischen Invasion in die Ukraine an Dringlichkeit und Klarheit gewonnen.

Medina Bazargali (2024)

Die Installation der Künstlerin Medina Bazargali von 2024 ist eine direkte Antwort auf diesen Moment. Mit einem Filzteppich, auf dem die Worte For a decolonial non-binary peaceful future! ausgelegt sind, lädt das Werk die Besucher:innen ein, sich zu setzen, Tee zu trinken und gemeinsam Brot zu brechen. Dieses Ritual der Gastfreundschaft und Fürsorge zielt darauf ab, der Isolation und Ausgrenzung entgegenzuwirken, die viele queere Menschen nach ihrem Coming-out in traditionellen Familienkontexten erfahren. Bazargali verwandelt ein Symbol der Häuslichkeit und Gemeinschaft in einen Ort der Zugehörigkeit von Queers. Bazargali reclaimt die eigene Kultur für eine Zukunft, die auf Inklusion und gegenseitiger Unterstützung beruht.

Im Kontext von Diaspora und Migration lohnt es sich, die Arbeit von Aika Akhmetova zu betrachten, einer interdisziplinären Künstlerin, die derzeit zwischen New York City und Almaty lebt. Akhmetova arbeitet mit Installationen, Videos und Performances, wobei sie häufig gefundene Objekte wie Teppiche, Bonbonpapier, Spiegel und Räume wie Flure, Spielplätze und Wohnzimmer verwendet. Akhmetovas Ästhetik verschränkt Kink, Queerness und zentralasiatische Traditionen. Durch Gesten, die sowohl spielerisch als auch provokativ sind, verhandelt Akhmetova die vielschichtigen Erfahrungen des queeren Aufwachsens (und der Weigerung, erwachsen zu werden) gemäß den heteronormativen Standards, die von den starren familiären Erzählungen vorgegeben werden.

Queerfeministische Bewegungen in Zentralasien nutzen das Mittel der Performance und künstlerischer Interventionen, um Räume für Selbstidentifikation und alternative Formen der Repräsentation zu schaffen. Räume, die jenseits der Kontrolle patriarchaler und autoritärer Strukturen existieren.

Gleichzeitig sind in der Kunstszene kritische und provokant antagonistische Stimmen aufgetaucht, die auf das reagieren, was manche als Mainstreaming oder Kommerzialisierung des dekolonialen Diskurses ansehen. Ein fiktionales Kollektiv uigurischer Künstler, bekannt als Sultan Kyzlar, veröffentlichte ein Manifest mit dem Titel We’re Sick of Decoloniality: Ein Manifest für die asiatische Kunst. Der Text, der zwischen Satire, Wut und scharfer Kritik oszilliert, stellt die Annahmen und blinden Flecken der dekolonialen Wende in Frage, insbesondere wenn sie in künstlerischen und akademischen Kontexten übernommen wird. Das Kollektiv lehnt neoliberalen Aktivismus im NGO-Stil ab und plädiert für einen radikaleren, verkörperten Begriff des Widerstands, der sich nicht in institutionelle Slogans oder kuratorische Rahmen pressen lässt.

Diese Intervention spiegelt die Komplexität der kulturellen Produktion im heutigen Zentralasien wider, wo Künstler:innen und Aktivist:innen ständig mit den sich überschneidenden Einflüssen westlicher, russischer und lokaler Ideologien und Institutionen umgehen müssen. In dieser Landschaft werden künstlerische und aktivistische Diskurse zu einem ambivalenten Terrain, das gleichzeitig ein Werkzeug zur Befreiung und ein Ort der Aneignung ist.

Statt eines Fazits

Wie anhand der Beispiele gezeigt wurde, nutzen queerfeministische Bewegungen in Zentralasien das Mittel der Performance und künstlerischer Interventionen, um Räume für Selbstidentifikation und alternative Formen der Repräsentation zu schaffen. Räume, die jenseits der Kontrolle patriarchaler und autoritärer Strukturen existieren.

Kunst wird nicht nur zu einem Vehikel, um die Werte und Visionen der queerfeministischen Bewegung zum Ausdruck zu bringen, sondern auch zu einem Ort, in dem diese Bewegung ihre Stimme und Sichtbarkeit im öffentlichen Raum einfordert. Gleichzeitig bietet sie einen kraftvollen Rahmen, um herrschende Konzepte von nationaler Zugehörigkeit, körperlicher Autonomie, reproduktiver Gerechtigkeit, Fürsorge, ökologischer Zukunft und vielem mehr zu untergraben und neu zu erfinden. Auf diese Weise widersetzen sich diese künstlerischen Praktiken der Auslöschung, während sie andere Möglichkeiten des Seins imaginieren – zart, trotzig, kinky, rebellisch und radikal möglich.


1Aus der Veranstaltung folgte die Veröffentlichung eines Sammelbandes, der Essays, Kunstwerke und kritische Überlegungen zusammenfasst, die aus unseren Diskussionen dort entstanden sind: https://www.peterlang.com/document/1057639

2Dieser Vortrag ist auch in die Fotoausstellung mit dem Titel “Struggles and Dreams of Central Asia” eingeflossen, die ich zusammen mit der NRO CAG kuratiert habe und die 2022-2023 durch Schweden tourte.

3Mehr über die rechtsextreme Gegenreaktion auf die transnationale feministische Bewegung siehe: Wiedlack, Katharina und Zabolotny, Iain. “Three. The Backlash against Feminist Body Positive Activism in Russia, Kyrgyzstan and Kazakhstan: A Transnational Post-Soviet Trend?”. Globale Perspektiven auf Antifeminismus: Far-Right and Religious Attacks on Equality and Diversity, herausgegeben von Judith Goetz und Stefanie Mayer, Edinburgh: Edinburgh University Press, 2023, S. 71-94. https://doi-org.uaccess.univie.ac.at/10.1515/9781399505413-006

4Eine eingehende Untersuchung des feministischen und queeren Aktivismus in Kasachstan, insbesondere der Entwicklung der Märsche zum Internationalen Frauentag in Almaty, findet sich in Diana T. Kudaibergens Buch The Kazakh Spring: Digital Activism and the Challenge to Dictatorship (Cambridge University Press, 2024), insbesondere Kapitel 7 mit dem Titel “Queering the Public Sphere”.

5In Kasachstan und Kirgisistan bezeichnet “Akimat” regionale Exekutivorgane, die die Funktionen der staatlichen Verwaltung und Kontrolle in einem bestimmten Gebiet ausüben.

6Meine Kollegin Mohira Suyarkulova hat einen ausführlichen Artikel über den Fall geschrieben, der auf Englisch verfügbar ist: https://www.opendemocracy.net/en/odr/fateful-feminnale-an-insiders-view-of-a-controversial-feminist-art-exhibition-in-kyrgyzstan/

7Aus einem Gespräch mit dem Autor für den Ausstellungskatalog “Dreams and Struggles of Central Asia” (2023): https://issuu.com/centralasiengrupperna/docs/en_web_exhibition_publication

9Aus dem persönlichen Gespräch mit der Kuratorin Vlaeriya Ibrayeva im Oktober 2024 in Almaty.


Saltanat Shoshanova ist Forscherin und Aktivistin mit Schwerpunkt auf queeren Kulturen in Zentralasien. Sie lebt in Berlin und arbeitet aktuell an ihrer Promotion zu queerer Kunst und Erinnerungspolitiken in post-sowjetischen Kontexten an der Universität Regensburg. In ihrer Praxis verbindet sie Forschung, künstlerische Vermittlung und Community-Arbeit. Mehr: shoshanova.com

Foto von Saltanat Shoshanova: Georgy Mamedov

Gefällt dir der Beitrag von Saltanat Shoshanova? Weitere Beiträge zu verschiedenen gesellschaftlichen Themen findest du hier.

Folge auch unseren online-Auftritten, um immer auf dem Laufenden zu bleiben! Mit uns kommst du auf InstagramYouTube, TikTok und Facebook ins Gespräch. Du bist kein Social-Media-Fan? Alles klar, denn über unseren Telegram-Kanal erhältst du ganz bequem spannende Inhalte direkt aufs Handy zugeschickt und auf Spotify kannst du sie dir auch einfach anhören. Werde Teil unserer Community, empfehle unsere Inhalte weiter und diskutiere mit!