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Migrationsgeschichte ins Museum

Momentan kommt das Archiv von DOMiD (Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland e.V.) im Bezirksrathaus in Köln unter. Für die nächsten Jahre ist die Eröffnung eines Museums geplant. Dieses beschäftigt sich mit der Migration in Deutschland. Zusammen mit den migrantischen Selbstorganisationen Maviblau und RAGE Kollektiv haben wir uns gefragt, wie so ein Museum zu Migrationsgeschichte aussehen wird und mit welchen Herausforderungen und Zielen das Team von DOMiD arbeitet.
Migrationsgeschichte ins Museum - Das DOMiD

o[s]tklick: Wieso braucht es eurer Meinung nach ein Museum über die Migration in Deutschland? Was ist das Ziel des Museums?

DOMiD: Das Ziel unseres Museums ist es, als Gesellschaft zusammenzuwachsen. Wir müssen nicht nur anerkennen, dass wir eine Migrationsgesellschaft sind, sondern auch beginnen, diese zu gestalten. Immer wieder wird sehr erhitzt über Migration diskutiert – mitunter werden auf dieser Folie und bei diesen Debatten eigentlich gesellschaftliche Fragen der Zugehörigkeit, der Identität, des Mitbestimmens und der Teilhabe verhandelt. Das sind ganz normale Fragestellungen für plurale Gesellschaften. Nur wurden und werden diese Debatten oft noch immer über die Köpfe von Migrant:innen hinweg geführt. Wir wollen deswegen im Museum mehrstimmig darüber sprechen und hören lassen, wie wir das Zusammenleben demokratisch und gleichberechtigt gestalten wollen. Dafür braucht es Räume, in denen beisielsweise über Erzählungen, Veranstaltungen und Diskussionsformate diese Aushandlungsprozesse stattfinden können. Dazu möchten wir einen Beitrag leisten, mit unserem Ausgangspunkt: der Erinnerungskultur.

Wir wollen das Geschichtsnarrativ über dieses Land und wer darin lebte und lebt inklusiver und vielstimmiger gestalten –  und auf dieser Grundlage die Gegenwart und Zukunft der Migrationsgesellschaft neu denken. Dafür braucht es ein bundesweites Museum, das die vielen lokalen und regionalen Initiativen ergänzt, die an demokratischer Teilhabe und der Vermittlung von Migrationsgeschichte arbeiten.

Maviblau: Wie kann es das Museum schaffen, verschiedene Menschen anzusprechen? Z.B. Menschen mit Migrationshintergrund, auch aus der ersten Generation, und Menschen ohne Migrationserfahrung?

DOMiD: Im Museum werden Themen verhandelt und Stimmen gehört, mit denen sich Menschen mit bestimmten Erfahrungen und Lebensrealitäten mehr als andere identifizieren können. Aber das Haus soll vor allem ein Ort werden, an dem die Geschichten der Migrationsgesellschaft erzählt werden. Und da wir in einer Migrationsgesellschaft leben, wird die Geschichte aller erzählt. Damit versuchen wir nicht nur, viele anzusprechen und unterschiedliche Geschichten zu verweben – unabhängig der persönlichen oder familiären Migrationserfahrung – sondern auch Dichotomien zwischen einem „Wir“ und den „Anderen“ in Frage zu stellen. Dafür planen wir eine Dauerausstellung, die über Konzepträume diverse Themen und Zeiten miteinander in Beziehung setzen kann, um diverse Anknüpfungspunkte für Besuchende möglich zu machen.

Maviblau: Wie erzählt man Migrationsgeschichten, ohne Klischees zu verstärken? Oder kann man Klischees auch ins Positive wenden?

DOMiD: So viel Migrationsgeschichte(n), die noch nicht erzählt wurden! Wieso sollten wir uns da an Klischees bedienen? Aber im Ernst: Klischees gehören (leider) auch zur Migrationsgeschichte – jedenfalls wenn wir uns zum Beispiel ansehen, wie von Migration über die Jahre hinweg berichtet wurde oder wie in vielen kulturellen Formaten, sei es beispielsweiße in Ausstellungen, in Film oder Literatur, Migrant:innen dargestellt wurden. Wie wir diese museal kontextualisieren, dekonstruieren oder brechen, wird sich im Einzelfall entscheiden. In unserer Sammlung befinden sich aber zum Beispiel verschiedene Dokumente und Film- und Videomaterial von politisch engagierten Leihgebenden und aktivistischen Gruppen, die sich – oft mit einigem Sinn für Humor und migrantisch situiertem Wissen – gegen diverse Formen von Klischees ausgesprochen bzw. dagegen gekämpft haben. Diese (nicht selten besonders nervenaufreibenden und ermüdenden!) widerständigen Praktiken können erzählt und gezeigt werden, ohne die Klischees zu reproduzieren, auf die sie Bezug nehmen.

Maviblau: Wie macht man Migrationsgeschichten sichtbar, die “untypisch” sind? (die zum Beispiel keine große Diaspora haben, oder ethnische Minderheiten innerhalb eines Landes, oder man hat zwei Elternteile, die wiederum unterschiedliche Wurzeln haben)

DOMiD: Eine „typische“ Migrationsgeschichte gibt es nicht. Das wird uns täglich durch unsere von unten gewachsene und stark biographische Sammlung vor Augen geführt. Und wenn es eine solche gäbe, dann würde es nicht zur Arbeitsweise von DOMiD passen, nur oder vorrangig diese abzubilden. Vielmehr zeigen wir, dass Migration nicht nur aus Zahlen besteht, nicht nur mit einer Geschichte erzählt werden oder über Zeit und Raum homogenisiert werden kann. Vielleicht können wir sogar sagen, wir machen gerade die untypischen Migrationsgeschichten sichtbar. „Typisch“ können aber Themen sein, die viele Menschen berühren: Abschiede, Ankünfte, Aushandlungen oder Ausschlüsse zum Beispiel.

RAGE Kollektiv: Inwiefern wird der politische Widerstand von Migrant:innen gegen Macht- & Unterdrückungssysteme in eurem Museum Raum bekommen?

DOMiD: Zum einen durch eine Darstellung der historischen Kontinuitäten von Diskriminierung und Rassismus, zum anderen durch die Erzählung von konkreten widerständigen Praktiken. Diese können klar verortbar, datierbar und in Objekten materialisiert sein – zum Beispiel durch mehrsprachige Streikaufrufe der Arbeitsmigrant:innen aus den 60er- und 70er Jahren oder Demonstrationsplakate aus den 2010er Jahren mit den Forderungen des Tribunals NSU-Komplex auflösen. Sie können sich aber auch in den „kleinen“ persönlichen Geschichten der Leihgebenden widerspiegeln, die in der Ausstellung zu hören sein werden. Das könnten, beispielsweise im Hinblick auf die DDR, Erzählungen vom Unterlaufen der staatlichen Vorgaben sein: ungemeldeter Besuch im Wohnheim, die eigene Herstellung von Mahlzeiten, die Verbesserung der ökonomischen Situation durch unabhängige Nebenverdienste.

RAGE Kollektiv: Habt ihr vor, euch als Museum klar und deutlich gegen Rassismus, Antisemitismus und Genderdiskriminierung zu positionieren? Wenn ja, wie wird diese Positionierung in der Praxis konkret aussehen?

DOMiD: Das machen wir bereits seit vielen Jahren. Da Diskriminierung und Rassismus unserem Wunsch nach Zusammenwachsen und Teilhabe in einer offenen Gesellschaft entgegensteht, gehört es zu unseren Grundwerten, das wir uns dagegen stellen. Wir arbeiten aber,  anders als NGOs, mit den Instrumenten eines Museums. Das bedeutet, dass wir beispielsweise in unserer Sammlungsstrategie einen Schwerpunkt legen auf die Geschichten, die häufig ungehört bleiben und so Perspektivwechsel anregen können. Die Basis unserer Sammlung sind private Leihgaben und Schenkungen von Menschen, die entweder selber migriert sind oder einen starken Bezug zur Migrationsgesellschaft haben. Diese Menschen schenken uns ihr Vertrauen, im Wissen, dass wir ihre Erfahrungen und Erlebnisse weitergeben. Viele von ihnen haben uns berichtet von Momenten der Diskriminierung und nicht wenige Objekte haben einen direkten Bezug zu rassistischer und antisemitischer Gewalt. 

Diese persönlichen Erfahrungen mit Diskriminierung und Rassimus aber auch historische rassistische Kontinuitäten sowie der widerständige Kampf dagegen werden im Museum ihren Platz haben. Das spiegelt sich auch in unseren bisherigen Ausstellungen wider, so haben wir zum Beispiel unser zweites DOMiDLabs mit Menschen aus der LGBTIQ+ Community durchgeführt. Die Ausstellung wurde in einem partizipativen Prozess mit ihnen gemeinsam kuratiert. Wir haben das bewusst so angelegt, da wir gemerkt hatten, dass unsere Samlung in den letzten Jahrzehnten mit einem heteronormativen Blick entstanden war. Wir begreifen uns als lernende Institution und nehmen sehr viel mit aus diesen Projekten und der konstruktiven Kritik.

Zudem führen wir antirassstische Bildungsworkshop basierend auf unseren musealen Objekten durch und organisieren Veranstaltungen, in denen wir uns über Literatur, Musik oder andere Kulturformate annähern können. Das machen wir jetzt also alles jetzt schon. Mit dem eigenen Museumsbau werden wir in einigen Jahren noch mehr Ressourcen haben.

Und noch als letzten Punkt: Wir verändern uns derzeit von einer kleinen migrantischen Selbstorganisation hin zu einem Museum, das mit Mitteln des Bundes, des Landes NRW und Unterstützung der Stadt Köln entsteht. Wir sind uns bewusst, dass wir als die neue Instititution, die wir werden wollen, auch größere Verantwortung tragen. Das bedeutet für uns auch, uns machtkritisch selbst zu reflektieren und immer wieder zu schauen, wie wir uns diskriminierungssensibel aufstellen. Das hat sich bereits in unserem Recruiting niedergeschlagen.

o[s]tklick: Es ist sicherlich schwierig, vielen Erwartungen unterschiedlicher Communities gerecht werden zu wollen. Wie geht ihr damit um? Und was sind eure größten Herausforderungen?

DOMiD: Wir werden nicht direkt bei Inbetriebnahme des Hauses allen Erwartungen gerecht werden können – aber wir verstehen uns von Anfang an als offenes Haus und lernende Institution. Das heißt, dass wir in vielen Bereichen partizipativ arbeiten und arbeiten werden. Damit können wir die unterschiedlichen Erwartungen zum einen befragen und aufnehmen, zum anderen auch gemeinsam mit den Communities umsetzen. Dafür bieten sich verschiedene Formate an, die wir für das Museum einplanen: Modulare Museumsräume, Sonderausstellungen und diverse Veranstaltungen und Veranstaltungsreihen zum Beispiel. Zudem können wir durch die polyphone und multiperspektivische Dauerausstellung das Thema ganz konkret ansprechen – der Frage nachgehen, wie eine gemeinsame Erinnerungskultur in Einwanderungsgesellschaften aussehen könnte.

o[s]tklick: Welche Vision habt ihr für diese Gesellschaft?

DOMiD: Die Vision von DOMiD ist eine Gesellschaft der Vielen, die Migration als gestaltende Kraft von Gesellschaft anerkennt. Gesellschaft ist ohne Migration undenkbar, sie ist unumkehrbar.

 

Das Interview wurde von o[s]tklick in Kooperation mit Rage Kollektiv und maviblau geführt.

 

RAGE Kollektiv

Die RAGE Bündnisarbeit bietet Menschen mit unterschiedlichen Diskriminierungserfahrungen einen Ort für Austausch und Dialog. Aus Analyse- und Aufarbeitungsprozessen entstehen gemeinsame Forderungen sowie Handlungsstrategien für die Förderung unserer politischen und zivilgesellschaftlichen Teilhabe. Empowerment in Form von Selbstbestimmtheit, Selbstermächtigung und Selbstorganisation spielen in der Bündnisarbeit eine zentrale Rolle.

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Maviblau

„Maviblau ist eine Kulturplattform, die sich mit (post-)migrantischen Themen in Deutschland auseinandersetzt sowie den Austausch zwischen der Türkei und Deutschland fördert.

Mit ihrem Online-Magazin und ihren soziokulturellen, transmedialen Projekten schaffen sie neue Narrative bezüglich hybrider Identitätskonstruktionen, Migrationsgeschichten und den Themen Zugehörigkeit und postmigrantische Gesellschaft. Gleichzeitig ermöglichen sie Begegnungsräume für Menschen aus der Türkei und Deutschland, in denen sie ihren Dialog stärken und Vorurteile abbauen können.“

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DOMiD

Das Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland (DOMiD), ist ein gemeinnütziger Verein, der 1990 von Migrant:innen gegründet wurde. DOMiD beheimatet die bundesweit größte Sammlung von Objekten und Dokumenten, die die vielfältige Geschichte der Migration in Deutschland dokumentieren. Die laufende Sammlung ist aus der Zivilgesellschaft heraus entstanden und umfasst derzeit mehr als 150.000 sozial-, kultur- und alltagsgeschichtliche Zeitzeugnisse.
Gefördert vom Bund, dem Land NRW und der Stadt Köln konzipiert DOMiD das bundesweite Migrationsmuseum „Haus der Einwanderungsgesellschaft“ (Arbeitstitel), das Ende 2027 eröffnen soll.

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